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„Löwenjagd im Taunus“ führt Spitzel in die Irre

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Emil Mangelsdorff (sitzend) und Winfried Siegler tauschen Erinnerungen aus. - Foto: Wolf
Emil Mangelsdorff (sitzend) und Winfried Siegler tauschen Erinnerungen aus. © Wolf

Jügesheim - Eine Jugend im Dritten Reich: Mit seinen Erinnerungen unter dem Titel „Swing tanzen verboten“ faszinierte der Frankfurter Jazzmusiker Emil Mangelsdorff (87) am Donnerstag rund 150 Zuhörer in der Aula derGeorg-Büchner-Schule. Von Ekkehard Wolf

Er erzählte von der Gegenkultur der damaligen Swing-Jugend, von jugendlichem Leichtsinn und von Zivilcourage. Seine Botschaft: Jazz heißt Freiheit. „Das ist ja fast identisch mit dem, was ich erlebt habe!“ Helmut Fünkner aus Dudenhofen, ebenfalls Jahrgang 1925, erkannte vieles aus seinem Leben wieder. Auch er wuchs in einer sozialdemokratischen Familie auf, spielte schon als Kind Akkordeon und entdeckte seine Liebe zum Jazz, die ihn lebenslang begleitete.

Emil Mangelsdorffs Erinnerungen im Gesprächskonzert beginnen mit einem Ausspruch seiner Mutter nach der letzten freien Wahl 1933, als Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte: „Dann gibt es Krieg.“ Als Neun- oder Zehnjähriger hörte er auf Radio Luxemburg sein erstes Louis-Armstrong-Stück: „Da singt einer, der eigentlich keine Stimme hat, und es berührt einen doch sehr.“ Er begann amerikanische Jazz-Platten zu hören. 1939, um seinen 14. Geburtstag herum, trat er mit Freunden erstmals im „Frankfurter Hof“ in Preungesheim auf.

Ein späteres Engagement in einer Hotelbar kollidierte schon fast mit dem behördlich verhängten Tanzverbot. Um Ärger zu vermeiden, ersetzte die Jazzband die englischsprachigen Titel einfach durch deutsche. So wurde aus dem „Tiger Rag“ die „Löwenjagd im Taunus“ und der „St. Louis Blues“ mutierte zur „St.-Ludwig-Serenade“. Das erforderte Mut, aber es bereitete den jungen Musikern auch einen Heidenspaß.

In Gestapo-Haft

Ernster wurde es, als sich die Jugendlichen 1943 mit einem Dummejungenstreich den Frankfurter Nahverkehr lahm legten. Sie hatten Glück und wurden nicht erwischt. Denn auf Sabotage standen damals harte Strafen. Emil Mangelsdorff heute: „Was uns vor dem Tod gerettet wäre, wäre höchstens die Tatsache gewesen, dass wir noch keine 18 Jahre alt waren.“

Dennoch landete Emil Mangelsdorff 1943 für 20 Tage in Gestapo-Haft. Kurz darauf wurde er zum Arbeitsdienst und dann zur Wehrmacht einberufen. Im Februar 1944 musste er an die Ostfront. Erst fünf Jahre später kehrte er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Heute schüttelt er den Kopf über junge Leute, die schon wieder der Nazi-Ideologie auf den Leim gehen. Helmut Fünkner teilt diese Sorge um die Jugend. Für Rechtsaußen-Tendenzen fehlt ihm das Verständnis: „Moral und Toleranz müsste doch jeder Mensch besitzen.“

Zum Gesprächskonzert der Kulturinitiative „Maximal“ hatte der 87-jährige Dudenhöfer ein dickes Kuvert voller Dokumente mitgebracht, unter anderem seinen Wehrmachts-Ausweis und das Gruppenbild von der Musterung, auf dem er mit Akkordeon in der ersten Reihe sitzt. Er ist überzeugt davon, dass die Musik ihn durch den Weltkrieg hindurch gerettet hat. Und auch auf seine alten Tage hält ihn das Musizieren lebendig - ob in der Bigband „Teddy‘s Rebirth“, in der er bis vor einem Jahr am Keyboard saß, oder als Organist im Gretel-Egner-Haus.

Schüler beeindruckt

Eine sehr persönliche Beziehung führte auch Winfried Siegler am Donnerstag in die GBS-Aula. Der Diplom-Kapellmeister aus Nieder-Roden hatte früher mit Emil Mangelsdorff musiziert. In der Pause unterhielten sich beide angeregt und tauschten Erinnerungen aus. Siegler hatte die Konzertkarten zum Geburtstag bekommen.

Auch etliche Schüler der Georg-Büchner-Schule saßen im Publikum. „Wir haben mit unserem Geschichtslehrer gewettet“, erzählte Fabian Basaldella aus einer 9. Klasse, „aber wir haben die Wette verloren.“ Statt 20 Schülern seiner Klasse kamen nur neun. Der Wetteinsatz des Lehrers war wohl nicht verlockend genug: zwei Wochen ohne Hausaufgaben.

Die jungen Leute, die sich auf den Abend einließen, bereuten es nicht. „Ich fand‘s gut, dass er das alles aus seiner Sicht erzählt hat - auch Sachen aus dem Alltag, die man sonst nicht erfährt“, sagte etwa Lisa Endres. Anna-Lena Merz war beeindruckt von der Ausstrahlung und Ausdauer des 87-Jährigen.

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